Beichte - in der evangelischen Kirche?
Die Antwort auf diese oft gestellte Frage ist ein entschiedenes und klares „Ja!“ Es gibt die evangelische Beichte nicht nur, weil sie auf ein tiefes menschliches Bedürfnis antwortet. Es gibt sie, weil für Luther und andere Reformatoren deutlich war, dass Vergebung ein zentrales Thema in der Nachfolge Jesu ist. In Joh 20, 23 sagt Jesus den Jüngern: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“.
Zwar ist die Beichte in der evangelischen Kirche kein Sakrament, weil – anders als bei Taufe und Abendmahl – ein sichtbares Zeichen fehlt, das den Zuspruch versinnbildlicht. Damit ist ihre Bedeutung aber nicht geschmälert. Die Beichte entlastet das Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Sie erleichtert und befreit. Zweierlei macht nach evangelischem Verständnis die Beichte aus: Verfehlungen und Gewissensnöte werden ausgesprochen und bekannt und es wird Trost gesucht. Von Gott aus bedeutet Beichte, dass man von diesen Bürden befreit und entlastet wird. Diese Lossprechung von den Sünden wird durch ordinierte Pfarrerinnen und Pfarrer formuliert, deren Zuspruch angenommen und geglaubt werden darf.
Im Unterschied zur katholischen Beichte wird den Beichtenden bei der Lossprechung aber keinerlei Bußleistung auferlegt: Damit wurde die Missdeutung befördert, als könne und müsse der Mensch durch „wiedergutmachendes“ Handeln einen Beitrag zur Vergebung „zahlen“. Dieses Missverständnis beeinträchtigt die Verlässlichkeit der zugesprochenen Sündenvergebung. Es ergab sich vor allem aus dem mittelalterlichen Ablasswesen, das Luther mit seinen Thesen von 1517 kritisierte.
Die Einzelbeichte, die im persönlichen Gespräch ihren Ort hat, trat im 17. und 18. Jahrhundert hinter die allgemeine Beichte im Gottesdienst zurück. Aus dieser Zeit rührt der irrige Eindruck, eine persönliche Beichte gebe es nur im katholischen Beichtstuhl. Gegenwärtig wird ihr Wert aber nicht nur in der Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge neu entdeckt. Sie entspricht der Schrift und gehört zum evangelischen Glauben, der sich zentral auf das Geschenk einer befreienden Vergebung richtet: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ (Mk 2, 5) Sich dies sagen lassen zu dürfen, ist eine starke Botschaft: Darin wird Gott zu einem Gott, der das Gute will und mich aufrichtet, ganz persönlich an meinem Ort.
Uwe Rieske